Das erste Mal, dass ich von Helmbrecht hörte, war in der
Schule. Damals lasen wir zwei oder drei Bruchstücke unter
dem Namen „Meier Helmbrecht“, obwohl es doch weniger
um den ehrlichen Vater als um den hochfahrenden Sohn geht, und
der wollte ja gerade kein Meier sein. In diesen Schulstunden hatte
sich auch der griffige Name Lämmerschling ins Gedächtnis
gegraben. Dann fiel mir viele Jahre später ein zweisprachiges
Heft in die Hände – links das mittelhochdeutsche Original,
rechts eine genaue Prosaübersetzung in unser Neudeutsch.
Beide Texte waren von hohem Reiz, und sie waren aufeinander angewiesen,
blieben aber jeder auf seine Weise unbefriedigend. Die alten Wörter
rätselhaft ohne die umständliche Interpretation, diese
wiederum ganz ohne die poetische Aura, Witz und fließende
Kraft der Paarreime, die Wernher dem Gärtner so lustvoll
von den Lippen gehen. Links und rechts vergleichend, las ich mich
fest, und es übermannte mich das Abenteuer, auf Wernhers
Spuren zu wandeln, ja in seinen Fußstapfen, aber doch so
ausschreitend, dass Söhne und Enkel um mich herum ihren heutigen
Spaß daran haben könnten. Flapsige
und anachronistische Reime („Ich brauche einen Umhang für
herrschaftlichen Umgang“) sind da nicht unterlaufen, sie
fielen mir zu, weil ich im Lesen zu spüren glaubte, dass
der Dichter damals nicht nur beim Ausschmücken der Szenen,
sondern auch beim Abschmecken der Wörter eine ähnlich
diebische Freude hatte. Das macht die ganze Geschichte so wunderbar
frisch, gar nicht bieder und „realistisch“. Wernher
übertreibt ständig, und er tut es selbstbewusst. Kein
Mensch kann glauben, dass all die prächtigen Figuren und
Kleinodien auf Helmbrechts Mütze Platz haben – aber
wie herrlich sind sie uns vorgestellt! Wiederholt versichert er,
augenzwinkernd, dass er alles selbst gesehen hat und beileibe
kein Lügner ist. Der Dichter offenbart sich, indem er das
Unwahrscheinliche und Übertriebene zur phantastischen Wahrheit
keltert. Da fühlte auch ich mich aufgefordert, mutig in die
Wogen seines Fabulierens einzutauchen. Wenn ich verändert
habe, dann immer im Respekt, den Willen des Autors für uns
Heutige kenntlicher, versteh- und genießbar zu machen. Mögest
du, Leser, entscheiden, ob es mir an der oder jener Stelle gelungen
ist.
Wolfgang von Polentz
(Verse 1 – 38)
Ich will erzählen, was geschah.
Einer sagt, was er gesehn,
der andere, was ihm geschehn.
Der dritte spricht von minnen,
der vierte vom Gewinnen.
Der fünfte schwärmt von Hab und Gut,
der sechste preist den hohen Mut.
Ich will erzählen, was geschah
und ich mit eigenen Augen sah.
Ein Bauernsohn mit langem Haar –
das ist zwar seltsam, aber wahr.
In Locken fiel es ihm vom Haupt,
dass man an einen Junker glaubt.
Blond spielt es um die Schultern reich.
Im Dorfe kam ihm keiner gleich.
In einer Haube fing er’s ein,
die konnte kostbarer nicht sein.
Es schmückten diese Haube
der Sittich und die Taube.
Kunstvoll in bunten Scharen
dort aufgestickt sie waren.
Hört nun, bevor es weiter geht,
wie es um diese Haube steht,
die jener schmucke Pächterssohn
dem Vater dankt mit bösem Lohn.
Helmbrecht, so hießen beide
im Glück und dann im Leide.
Die Mütze ist nicht Phantasie,
auf Helmbrechts Locken sah ich sie:
Die wunderbare Haube
war echt, auf Treu und Glaube.
Vom Ringelhaar am Hinterkopf
hinauf zum Scheitel auf dem Schopf
die bunten Vögel zogen,
vom Spessart hergeflogen,
ganz dicht gedrängt zum Greifen.
Das war der Mittelstreifen.
Nie war ein Bauernschädel
bedeckt so stolz und edel.
…………
(Verse 1293 – 1324)
Vorzüge Gotelinds
Hör, Gotelind, du armes Ding:
Als mein Gefährte Lämmerschling
bei mir um dich geworben hat,
da wusste ich ihm guten Rat.
Ich sagte: Soll es denn so sein,
so wird’s dich nimmermehr gereun.
Redlich ist Gotelind und treu.
Ganz unbesorgt und sicher sei,
dass, wenn du mal am Galgen baumelst,
du lange nicht im Winde taumelst.
Sie hängt dich eigenhändig ab
und schleift die Leiche bis ans Grab.
Dort am Kreuzweg jede Nacht
getreulich wird dir dargebracht
Weihrauch und Myrrhenduft, fürwahr
das ganze lange Trauerjahr.
Die Knochen wird sie dir umräuchern,
dass man es riecht an Gras und Sträuchern.
So fromm und eigen, wie sie ist,
versäumt sie keinen Tag der Frist.
Doch wenn’s mit dir so glücklich endet,
dass man dir nur die Augen blendet,
führt sie dich achtsam an der Hand
auf deinen Wegen über Land.
Und wird der Fuß dir abgeschlagen,
wird sie ans Bett die Krücken tragen.
Mache dir also keine Sorgen:
Sie schleppt herbei sie jeden Morgen.
Nimmt man zum Fuß dir noch die Hand,
weil eines man zu wenig fand,
dann schneidet sie dir Fleisch und Brot
in kleine Brocken bis zum Tod.
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